Wer die Wahlkampfberichterstattung der aktuellen Wahlkämpfe in Deutschland und Österreich beobachtet, muss den Eindruck haben, es sei etwas in Bewegung. Da wird vom Netzwahlkampf gesprochen, von der Bedrohung durch fake-news, von Kommunikationsoffensiven. Und was ist mit dem Straßenwahlkampf? Der läuft wie immer. Da haben Informationstische wie in den letzten 70 Jahren Hochkonjunktur. Da stellen alle Parteien ihre Altäre auf, bieten durchweg die gleichen Werbematerialien. Der Kuli, Bonbon, Einkaufschip und Luftballon ist nicht zu vermeiden. Alle haben fast die gleichen Artikel für den „interessierten“ Wähler. Und der und die nimmt bekanntermaßen, was man ihr oder ihm hinhält, ja er und sie fordert es förmlich ein: „Hamm se nen Kuli für mich? Neee? Was Hamm se denn?“
Den Rheinländer mag das nicht überraschen. Dort ist man seit Jahrzehnten Montagsdemos gewohnt, die i.d.R. im Februar stattfinden. Da ruft das Volk „Kamelle, Kamelle“. Der aufmerksame Beobachter wird aber notieren, dass man in der Folge durchaus auch „Strüssche“ nimmt. Man nimmt, was man eben bekommt.
Doch eigentlich sollte ein Karnevalsumzug von Partei-Infoständen, von Politikkommunikation, zu unterscheiden sein. Aber ist das wirklich so?
Wir haben Bilder, wo sogar Hauptamtliche der verschiedenen Parteien einträchtig neben einander Rosen verteilen. Welche Rose wird dann später in der Vase zuerst den Kopf hängen lassen? Tut sie es schon vor dem Wahltermin? Werden sie deshalb erst in den Tagen kurz vor der Wahl verteilt?
Wir reden über moderne Wahlkämpfe. Der Straßenwahlkampf, genau der vor Ort bei den Menschen, der hat sich über zig Jahre nicht verändert.
Allenfalls beim Hausbesuch ist zu beobachten, dass hier das Sammeln von Daten zugenommen hat. Auch hier hat das Format kaum Änderungen erfahren.

Woran das liegt?
Sind es die Hersteller und Vertreiber der Infotische und Werbemittel, deren Lobbyarbeit und Kataloge den lokalen Wahlkampfmanager beeindrucken?
Sind es die lokalen Wahlkampfleiter, die eigentlich nur in den wenigen Monaten vor der Wahl zu Kommunikationsexperten werden, die dann schnell schauen, wie man das bisher so machte, die natürlich nicht mit den vielen Funktionären vor Ort anecken wollen?
Liegt es an den Wahlkampfzentralen, denen letztendlich auf dem Gebiet nicht viel mehr einfällt, als Ideenbörsen auszuschreiben, in die dann jede Idee ihren Eingang findet, ob sie wirksam ist oder auch nicht? Liegt es an der Annahme, der Bürger und die BürgerIn brauche dieses Ritual, weil er und sie sonst fragen würde, wo die Parteien geblieben seien, obwohl man sie einfach so „erzogen“ hat? Rechtfertigt man Infotische deshalb mit dem Hinweis, man müsse eben „Flagge zeigen“. Liegt es an der Illusion, der Bürger wolle Fragen stellen, wo man doch weiß, dass gerade Männer im Leben immer ungern Fragen stellen? Sie kommentieren doch viel lieber – oder? Oder glauben wir wirklich, in Minuten überzeugen zu können? Ist uns einfach nicht aufgefallen, dass wir selber um Infotische einen Bogen machen, ganz so wie unsere Familienmitglieder und KollegInnen? Haben wir einfach nicht gemerkt, dass am Infotisch fast nur jene stehen, die eine positive oder negative Beziehung zum Veranstalter haben, also genau nicht jene Unentschlossenen, die man erreichen will?
Vielleicht ist die Antwort aber auch ganz einfach: Es ist uns einfach egal!
Wie wir darauf kommen? Bereits alltägliche Beobachtungen könnten das bestätigen: Da teilen Parteibüros mit, dass man derzeit leider keinen durchaus kostenlosen Termin zu wirksamen Alternativen realisieren könne, weil man gerade Wahlkampf mache. Da fragt man sich im Leitungsteam einer Millionenstadt, ob man denn für einen Liretest von gut 20 Alternativen überhaupt ein paar Ehrenamtliche mobilisieren kann.
Wozu Straßenwahlkampf machen, wenn man dadurch „keinen Blumentopf gewinnt“? Die Funktionen werden i.d.R. bereits durch Listenplätze vergeben. Status gewinnt man, durch Vorlagen für und Beiträge in Sitzungen, durch fleißiges netzwerken. Wozu Zeit und Geld einsetzen, wenn am Ende doch der Trend entscheidet.
Ok die Pflichtübungen müssen sein. Schließlich ist man im Vorstand, im Stadt- oder Gemeinderat. Da lässt man sich doch gerne am Rand des Wochenmarktes blicken und spricht mit Freunden und Bekannten. Und mal die eine oder andere Rose, den einen oder anderen Luftballon weitergeben…? Ein freundliches Lächeln ist dann schon zu erwarten.
Wollen wir wirklich informieren? Ok, dafür gibt es Broschüren und Flyer. Aber die hat ja meist das eigene Team schon nicht gelesen. Man könnte natürlich die Konzepte und Forderungen visuell darstellen, so Politik verständlich machen. Einfacher ist es natürlich, wenn man einfach für Arbeitsplätze, für Familien, für den Frieden, für Gerechtigkeit, für Bildung, für Steuerentlastung, für … ist. Wer wird schon dagegen sein. Und für Nachfragen ist hier ja keine Zeit.
Aber mal im Ernst: Es ist unerträglich, wenn man diese Praxis des Straßenwahlkampfes fast aller Parteien sieht. Nur kleine „Leuchttürme“, hier und da kleine Ausnahmen fallen auf. Dort ist man bemüht, durch Abstimmungen, durch Bodenzeitungen, per Mindmap, mit riesigen „Bodengeschichten“, mit Grafiken aller Art, Probleme, Inhalte, Ziele, Konzepte zu veranschaulichen, ja sogar Interaktion durch Passanten zu ermöglichen.
Aber das sind eben „Leuchttürme“. – Wie sagte mir doch dieser Tage ein Wahlkampfmanager: „Infotische gehen schon in Ordnung. Man muss dabei nur die Richtige Ausstrahlung, die richtige Haltung haben“.
„Haltung“???!!! Klingt etwas preußisch. Aber vielleicht müssen die großen Parteien bald wirklich „Haltung bewahren“, wenn man nur noch zusehen kann, wie man im Fernsehen auf- und abgebaut wird, wenn man völlig abhängig wird, von Medienmachern in Medienanstalten und Medienmachern in den eigenen Zentralen.
Es bekommt allerdings etwas satirische Züge, wenn dann z.B. Sozialdemokraten und Linke ernsthaft glauben, sie könnten hierüber nachhaltig Kampagnen fahren, Inhalte erklärend übermitteln.