Gewinnen wir die Menschen für ein Engagement in politischen Organisationen?

Die letzte Studie zum Stand der Dinge in Sachen „Ehrenamtliches Engagement“ (Freiwilligensurvey) zeigt einmal mehr die Probleme auf. Millionen Menschen wären eigentlich für mehr Engagement zu gewinnen. Vor allem politische Organisationen tun sich schwer. Am politischen Interesse im Land liegt es nicht, denn das ist seit vielen Jahren konstant bis steigend.

Millionen Menschen engagieren sich bei uns im Land bereits ehrenamtlich. Sportvereine, soziale Initiativen, kulturelle Vereinigungen, lockere, informelle Zusammenschlüsse können an sich nicht über mangelndes Interesse klagen. Ganz anders sieht es im politischen Bereich aus, bei Gewerkschaften und Parteien.
Mancher mag einwenden, dass doch im letzten Jahr noch gemeldet wurde, dass die IG Metall Zugewinne hat. 2016 war das auch so. Aktuell ist die Lage auch hier ernster. Schauen wir uns mal die Entwicklung des Arbeitsmarktes der letzten Jahre an. Die Zahl der ArbeitnehmerInnen ist in wenigen Jahren um viele Millionen gestiegen. Die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder ist gesunken. Nicht anders sieht die Mitgliederentwicklung der Parteien aus. Selbst der Schulz-Effekt kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Trend nach unten geht. Am politischen Interesse der Menschen liegt es nicht, wie verschiedene Untersuchungen zeigen. Die viel zitierte Individualisierung wird das in dem Umfang auch nicht begründen können. – Wir denken, das Problem ist „hausgemacht“.

Da ist einerseits die interne Kommunikationskultur:
Sie brauchen viel, viel Zeit für endlose Sitzungen, in denen Sie vielleicht nur ein oder zwei Punkte spannend finden.
Muss das wirklich alles in großer Runde beraten werden? Gibt es da nicht andere Wege ?
Wie lässt sich überhaupt bewirken, dass die Meinung und Kompetenz aller TeilnehmerInnen berücksichtigt wird?
Ok, es gibt da verschiedene Moderatonsmethoden. Um so wichtiger aber das Gremium, um so unwahrscheinlicher ist ihre Anwendung.

Ganz eng wird es, wenn jemand mitwirken möchte, aber kaum Zeit für Sitzungen hat. In der ach so modernen Medienwelt ist es mit Video- oder auch nur Telefonkonferenzen bzw. -zuschaltungen nicht weit her. Selbst die Terminfindung wird zum Zeitfresser, statt mit geeigneten Apps die Terminmöglichkeiten schnell abzugleichen. Wer kann da unter solchen Bedingungen bei voller Berufstätigkeit wirklich noch mitwirken? Ein zweiter Aspekt ist die Frage, was man hier eigentlich tun kann so als Mitglied. Gibt es da überhaupt Handlungsfelder, wenn man nicht Vorstandsmitglied, Ratsmitglied, Betriebsrat werden will ? Haben wir Organisationen in den letzten Jahren und Jahrzehnten nicht letztendlich zu reinen Funktionäreläden gemacht ?
Man darf allenfalls am Infotisch stehen, Prospekte weitergeben, Saalveranstaltungen füllen. Wen wird das begeistern ? Wer wird da auch mal selber ein Erfolgserlebnis haben? Wollen wir nicht berücksichtigen, dass Ehrenamtliche lt. vieler Studien auch mal Spaß, Erfolg beim Engagement haben wollen? Würden wir mehr Handlungsfelder anbieten, die auch ein zeitlich befristetes Engagement ermöglichen, ein Engagement mit überschaubaren Zielen, würden einige mehr mitmachen (können). Ein Handlungsfeld könnte die nötige Verstärkung der Öffentlichkeitsarbeit, einer breiten, dialogischen Kommunikationsarbeit sein. Strategisch eingesetzte, zeitlich gestufte Aktionen und Medien sind gut vor Ort leistbar und leicht mit Erfolgserlebnissen verbunden. Doch wie kommen wir da auf den Weg?
Haben die Organisationsfürsten daran wirklich Interesse? Wenn man das Wehklagen hört, müsste man davon überzeugt sein. Schaut man sich aber die Anstrengungen wirklich an …? An Status gewinnt man vor Ort, und der ist wichtig in Organisationen, nicht durch Dialog-Arbeit mit Bügerinnen und Bürgern, mit ArbeitnehmerInnen in Betrieben. Status und Macht gewinnt man durch unzählige Sitzungen und das Einbringen bzw. die Reproduktion von Wissen aus anderen Sitzungen. Status gewinnt man primär durch internes Netzwerken.
Wer keine Zeit für Sitzungen hat, kann das schnell vergessen.
Keine Frage: An einer veränderten Organisationskultur müsste man zunächst Interesse haben. Manche müsste man in dieser Richtung fortbilden, wahrscheinlich nicht wenige. Es wäre wohl ein Kraftakt.
Schaffen wir den aber in den nächste Jahren nicht, wird so manche politische Organisation noch mehr Probleme bekommen. Gewerkschaften und Parteien, aber auch die Kirchen müssen sich etwas einfallen lassen, was sie mit ihren Mitgliedern machen. Der Lastschrifteinzug allein wird nicht ausreichen. Es bedarf da neuer Wege der unterschiedlich starken Einbeziehung. Möglich wären sie.

Da sind andererseits die Rahmenbedingungen: Kann man sich ein Engagement überhaupt leisten?
Billig ist heutzutage Engagement nicht. Lokal und überregional fallen Reisekosten für den Besuch von Konferenzen, Arbeitskreisen, Seminaren an. Nur in Gewerkschaften kann man mit einer Erstattung rechnen. Zu zahlen sind das notwendige Abonnement von Tageszeitungen und Fachpublikationen, sind die erhöhten Kosten für elektronische Kommunikation inklusive der erforderlichen Hardware. Nicht zu vergessen sind Mitgliedsbeiträge für die eigene Organisation und Initiativen, Vereine, Verbände, die zum gewählten Fachgebiet gehören.
Ein anderes Problem sind die Zeitpunkte der Sitzungen, Besprechungen, Besichtigungen. Wer kann sich schon freinehmen für die Schuleröffnung um 10 Uhr, den Ausschuss um 16 Uhr, die Exkursion in die niederländische Partnerstadt.
Ist man aber nicht dabei, verliert man an Einfluss.
Kommunale MandatsträgerInnen sind von Arbeitgebern für parlamentarische Sitzungen freizustellen, erhalten bei Bedarf eine Entschädigung. Aber hilft das dem kleinen Handwerksbetrieb wirklich? Freut es den Vorgesetzten, wenn es der 10. Termin in diesem Monat ist?

Auch die Arbeitsbedingungen können ein Hinderungsgrund sein, wenn nicht absehbar ist, wie der Schichtplan im nächsten Monat aussehen wird. Kan ich dann überhaupt als Delegierter für den Parteitag kandidieren ?

Und alles das soll man sich antun, wenn in der Nachbarschaft von „der Politikerkaste“ gesprochen wird ?
Im Interesse unserer Demokratie müssen wir politisches Engagement attraktiver, leichter realisierbar machen. ,Wir müssen dafür sorgen, dass politisches Engagement gesellschaftliche Anerkennung erfährt.
Wer genau hinsieht, dem wird nicht entgehen, dass Politikengagement zunehmend beim Thema EHRENAMT ausgeklammert wird. Da sollen sich die Gewerkschaften und Parteien beim Ehrenamtstag in der Stadthalle bitte nicht mit Infoständen beteiligen. Sie sollen doch bitte auf einen eigenen Wagen im Umzug der örtlichen Vereine verzichten. Sie mögen doch bitte keine InfGewerkschaftotische in der Nähe von Schulen aufstellen und möglichst auf dem Weihnachts- und Wochenmarkt nicht sichtbar sein.

Hat politisches Engagement etwas Abstossendes, Gefährliches?
Zu oft sind es die KommunalpolitikerInnen und GewerkschafterInnen selber, die ihre Organisation nicht als Teil des gesellschaftlichen Lebens verstehen.
Wir werden drüber nachdenken müssen, wenn wir unsere Demokratie erhalten wollen.

 

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